2021 war das Jahr der neuen MMORPGs, denn gleich 7 neue Spiele wurden bei uns im Westen veröffentlicht. Am Ende des Jahres stehen diese jedoch nicht gut da. Das liegt zum einen an Problemen in den Spielen selbst, zum anderen aber auch an uns Spielern. Denn viele von uns sind zu anspruchsvoll und hoffen auf eine zweite erste Liebe, die jedoch verwehrt bleibt.
2021 war ein sehr interessantes Jahr für MMORPG-Fans. Insgesamt sind gleich 7 neue Spiele erschienen:
- Neue Welt
- Krähensturz
- Phantasy Star Online 2: Neue Genesis
- Schwerter der Legenden Online
- Segne entfesselt
- Elyon
- Wildes Terra 2
Eigentlich müssten die MMORPG-Fans also gut gelaunt aus dem Jahr gehen. Doch dem ist nicht so.
Viele der neuen Spiele wurden stark kritisiert und haben an Spielerzahlen eingebüßt. Gerade auf New World hacken Spieler und Presse ein, als wäre es das schlechteste Spiel, das jemals released wurde.
Und natürlich gibt es berechtigte Gründe für die Kritik. Sämtliche MMORPGs, die dieses Jahr erschienen sind, hatten technische oder inhaltliche Probleme. Doch mir persönlich werden genau diese Probleme viel zu stark aufgebauscht. Ich habe das Gefühl, dass viele Spieler einfach mit unrealistischen Erwartungen an neue Spiele herangehen und diese zu schnell abschreiben.
Wer spricht hier? Alexander Leitsch schreibt seit 2018 über MMORPGs auf MeinMMO. In Spielen wie GW2, ESO und Black Desert hat er tausende Stunden verbracht. 2021 hat er jedes neue MMORPG ausprobiert und allein in New World über 400 Stunden versenkt. Doch auch SOLO, Bless Unleashed und Elyon hat er bis ins Endgame gespielt.
MMORPGs sind gefragt, doch keiner will die neuen Games spielen
Mit Ausnahme von Crowfall sind alle neuen MMORPGs auf Steam erschienen. Das ermöglicht uns recht präzise, die Spielerzahlen zu verfolgen.
Das Interesse an neuen Games ist anfangs relativ groß, doch keines der 6 Spiele konnte seine Zahlen lange halten, wie diese Beispiele zeigen:
- Swords of Legends startete auf Steam mit einem Peak von 18.806 Spielern. In den letzten 24 Stunden waren noch 787 im Peak online. Damit verblieben gute 4 % der Spieler. Hier gibt es aber noch einen Gameforge-Client, sodass die realen Spielerzahlen höher sein werden.
- Bless Unleashed kam zu Release sogar auf 76.377 Spieler im Peak, erreichte in den letzten 24 Stunden nur noch knapp 7.000. Hier verblieben gute 9 % der Spieler aus dem Peak.
- New World startete mit 913.634 Spielern im Peak und kam zuletzt auf 122.808 Spieler. Hier verblieben knapp 13,5 % der Spieler.
Auch Elyon, PSO2 und Wild Terra 2 haben nach dem Release stark an Spielerzahlen eingebüßt.
Crowfall selbst scheint auch nicht besser dazustehen, denn hier verrieten die Entwickler bereits, dass sie Verluste machen und zumindest über eine Einstellung nachdenken.
Die Ablehnung der neuen Spiele hat verschiedene Gründe.
SOLO etwa wurde wegen der Optik direkt als grindiges Asia-MMO abgestempelt und bekam deshalb schon zu Release keine echte Chance. Dabei wurde auf Mechaniken wie eine zerstörte Ausrüstung beim Aufwerten oder Pay2Win komplett verzichtet, was mitunter die größten Probleme von Asia-Spielen sind. Bei einem genaueren Blick auf das Spiel einen Monat nach dem Release fiel außerdem auf, dass es zu wenige Endgame-Inhalte gab. Die Spieler hatten zwar Spaß, doch nicht genug zu tun.
Bless Unleashed bekam von vielen ebenfalls gar keine echte Chance, weil Bless auf dem Cover stand. Der Flop aus 2018 hat sich in die Köpfe vieler MMORPG-Fans eingebrannt. Dabei hat Bless Unleashed einige Dinge richtig gut gemacht, etwa die knackigen Weltbosse mit echtem MMO-Feeling und die Dungeons.
Und New World wird gefühlt überall zerrissen, egal ob im reddit, in Foren oder auf anderen Gaming-Seiten. Vor allem die schnell gesunkenen Spielerzahlen und die vielen Bugs sind immer wieder ein Thema.
Kritik ist berechtigt, doch sie erinnert mich oft an ESO und GW2 – und die sind inzwischen beliebt
Grundsätzlich ist nichts an der oben genannten Kritik falsch. Jedem Spieler steht es frei, die Spiele zu kritisieren und viele Punkte sind absolut berechtigt. SOLO etwa hat einen unglaublich langweiligen Einstieg und es fehlt an Endgame. New World setzt im Endgame stark auf Grind und startete mit extrem vielen Bugs.
Jedoch erinnern mich die Kritikpunkte von New World und SOLO immer an die Release-Zeit von ESO. Denn das MMORPG wurde zu Beginn ebenfalls zerrissen. Ein ungewohntes Kampfsystem, eine halboffene Welt mit Phasing und irgendwie zu wenig Endgame-Inhalte. Auch ich selbst hab ESO damals belächelt.
Doch heute bekommt ESO viel Lob und zählt zu den beliebtesten MMORPGs überhaupt. Ich spiele es gerne, weil es eine extrem gute Entwicklung durchgemacht hat. Und genau das ist auch meine Kernkritik:
- Kein MMORPG erscheint zu Release perfekt
- Keines hatte direkt ein gutes Endgame
- Kein Spiel nach WoW hat dem riesigen Hype zu Release standgehalten
Ich weiß noch, wie viele Spieler Guild Wars 2 schon zwei Monate nach Release verlassen hatten, weil es einfach zu wenig zu tun gab. Ich erinnere mich an die die Kritiken zu RIFT oder SWTOR, die beide als schlechtere WoW-Klone bezeichnet wurden. Selbst die Entwickler von SWTOR kritisieren, dass sie zu nah an WoW arbeiten mussten.
Doch neben den Problemen der MMORPGs selbst sind auch die Spieler zu anspruchsvoll geworden.
MMORPGs sind die Königsklasse der Spiele, doch die Spieler machen sie kaputt
MMORPGs sind die aufwendigsten Spiele, die man überhaupt entwickeln kann. Sie brauchen mehrere Jahre in Entwicklung, eine Lokalisierung in mehrere Sprachen und eine passende Server-Struktur. Während der Entwicklungszeit verdient man über mehrere Jahre gar nichts und man bekommt teilweise sogar noch Kritik im Anschluss, wenn das gewählte Monetarisierungssystem nicht stimmt.
MMORPGs sind ein großes Risiko und deshalb sind viele große Entwickler eher zurückhaltend. Einen gewaltigen Anteil daran haben wir als Spieler.
MMORPG-Spieler sind die größten Zicken in der Gaming-Welt. Keiner Spielergruppe kann man es schwerer recht machen, was auch daran liegt, dass es einfach dutzende von Spielertypen gibt, darunter:
- Solo-Spieler, die gerne alles allein erleben, aber trotzdem auf andere Spieler treffen möchten
- Casual-Spieler, für die die Inhalte nicht zu schwer sein dürfen
- Hardcore-Raider, für die die Inhalte nicht schwer genug sein können
- PvP-Fans, die gerne eine Arena mit Rangliste haben möchten
- Hardcore-PvPler, die am liebsten Full-Loot in der offenen Welt hätten
- Sandbox-Fans, die gerne ein Wirtschaftsimperium aufbauen möchten
Dazwischen gibt es noch etliche Nuancen und weitere Typen, die diese Liste sprengen würden. Sie alle unter einen Hut zu bekommen, ist absolut unmöglich.
Zudem hat jeder Spieler gewisse Kriterien, durch die ein Spiel sofort ausgeschlossen wird, ohne ihm eine Chance zu geben. Einige spielen etwa grundsätzlich keine Asia-Games, einfach wegen der Optik. Andere fassen grundsätzlich keine Sandbox-Spiele an, da gibt es ja oft keine richtigen Quests. Manchmal basieren diese Vorurteile sogar nur auf schlechten Erfahrungen mit einem Spiel.
Genau das macht es neuen MMORPGs so schwer, überhaupt einen Fuß auf den Boden zu bekommen, denn Spieler sind der Kernpunkt dieses Genres. Ohne Spieler überlebt kein MMORPG lange.
„WoW-Killer hätten beinahe MMOs gekillt“ – Entwickler erklärt das Problem
Spieler hoffen auf eine zweite erste Liebe
Was mich ebenfalls stört, sind die oftmals übertriebenen Erwartungen an ein neues MMORPG. Denn man vergleicht das Feeling beim Zocken mit den guten Erinnerungen, die man an sein erstes Spiel hatte.
Damals war alles perfekt, die Probleme im Spiel nicht gravierend genug und der Content war noch so neu und unentdeckt. Doch die Erinnerungen an die guten Momente der “ersten Liebe” überschreiben meist die Probleme, die dieses Spiel hatte.
Ich habe 2006 mit Guild Wars 1 angefangen und habe dort über 10.000 Spielstunden verbracht. Meine besten Gaming-Erinnerungen verbinde ich mit diesem Spiel. Immer wieder wünsche ich mir, nochmal die Zeit von damals zu erleben.
Dabei blende ich völlig die Probleme des Spiels aus, etwa fehlender PvE-Content, die teilweise echte stumpfe Story, die vielen unsichtbaren Barrieren in der Spielwelt oder die Tatsache, dass die Balance totaler Unfug war. Und ich bin schon eingestiegen, als Guild Wars 1 das erste Addon rausgebracht und kurz vor dem Release der zweiten Erweiterung stand.
So richtig bewusst ist mir das 2014 geworden, als ich mit Freunden aus Guild Wars 2 dann nochmal den Vorgänger gespielt habe. Die kannten Guild Wars 1 nicht und haben quasi alles zerrissen an dem Spiel. Und das absolut zurecht.
Ich hingegen hatte nur die schönen Momente im Kopf, die teilweise auch mit den Menschen und einfach meiner Lebenssituation damals verbunden sind. Als Jugendlicher konnte ich während der Schulzeit viel mehr zocken, es war viel einfacher Online-Freundschaften zu schließen und es war egal, wenn ich mal eine Nacht durchgemacht habe.
Ein ähnliches Phänomen hat auch der YouTuber Josh Strife Hayes in einem Video beschrieben, in dem er erklärt, warum die Spieler heutzutage keinen Spaß mehr an MMOs haben:
Das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis und trotzdem wird gemeckert
Was mir persönlich 2021 den Rest gegeben hat, waren Spieler, die New World nach 200, 400 und teilweise über 500 Spielstunden zurückgegeben haben. Amazon war aufgrund der vielen Bugs kulant und die 40 Euro wurden zurückerstattet.
Doch genau ein solches Verhalten kann ich nicht verstehen. Wenn ich doch über 500 Stunden in einem Spiel verbracht habe, muss ich doch zumindest ein bisschen Spaß gehabt haben. Wie kann ich da den Entwicklern nicht mal 40 Euro gönnen?
Gerade Buy2-Play- und Free2Play-MMORPGs haben von allen Spielen das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis für den Spieler und wohl mit das schlechteste Verhältnis für Entwickler. Trotzdem sind die Ansprüche hier gerade am höchsten.
Ansprüche runter und auch mal rechts und links schauen, dann habt ihr wieder Spaß an MMORPGs
Ich empfehle euch grundsätzlich neue Spiele nicht abzulehnen, nur weil jemand anderes etwas Schlechtes über das MMORPG gesagt hat. Wichtig dabei ist, sich nicht zwingend von Vorurteilen leiten zu lassen und auch mal seine Ausschlusskriterien zu überdenken, gerade wenn die Spiele kostenlos sind.
Den größten Spaß neben New World hatte ich dieses Jahr mit Bless Unleashed, auch wenn ich nach knapp 60 Spielstunden wieder ausgestiegen bin. Für ein Free2Play-Spiel und eine Übergangslösung über den Sommer war das aber komplett ausreichend.
Bei New World muss man seine eigenen Erfahrungen machen, weil es eben kein klassisches Themepark-MMORPG ist, sondern viel Survival und einige Sandbox-Elemente mit reinmischt. Es ist keine Kopie von WoW oder ESO, aber das will es auch nicht sein. Viele haben aber genau auf so etwas gehofft.
Zudem kann es sich lohnen, eher unbekannte MMORPGs auszuprobieren, wie etwa Swords of Legends oder Project Gorgon, eines der beliebtesten MMORPGs auf Steam.
Am Ende muss man für MMORPGs immer Kompromisse eingehendenn das perfekte Spiel gibt es nicht und wird es auch künftig nie geben. Das liegt auch daran, dass die Entwicklung von neuen Spielen ein großes Risiko ist. Wir selbst als Spieler tun gut daran, nicht jedes neue Game direkt zu verteufeln und die Entwickler zu vergraulen. Denn gerade die letzten Jahre haben gezeigt, dass auch zu Beginn schlechte Spiele wie ESO und FFXIV die Wende schaffen können.
Übrigens kann es sich auch lohnen, den bereits etablierten MMORPGs nochmal eine Chance zu geben. Denn für mich gibt es gerade sogar zu viele gute Spiele und mir fällt die Auswahl richtig schwer:
Ich hätte nicht gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber: „Wir haben gerade zu viele gute MMORPGs“