World of Warcraft krempelt sein Talent-System komplett um – aber taugt das was? Unser WoW-Dämon Cortyn hat das System genauer getestet.
Seit einer Weile ist nun die Beta von WoW: Dragonflight gestartet und immer mehr Spielerinnen und Spieler tummeln sich auf den Dracheninseln. Auch der PTR zum Pre-Patch 10.0 ist live, sodass sich alle mit dem neuen Talent-System vertraut machen können, um sich selbst ein Urteil zu bilden.
Doch taugt das neue Talent-System wirklich etwas? Oder sind das alles belanglose Optionen, die einfach nur nach „mehr“ aussehen?
Ich habe in den letzten Tagen und Wochen mit verschiedenen Klassen experimentiert, vor allem aber meinen Fokus auf Priester und Dämonenjäger gelegt. Ob das neue Talent-System etwas taugt, was die Vor- und Nachteile sind, will ich euch hier verraten.
Viele Spielstile, die in der Theorie funktionieren
Ich sag’s direkt: Ich habe bei meinen Experimenten überhaupt nicht darauf geachtet, ob eine Talentauswahl in jedem Punkt das Optimum darstellt und konkurrenzfähig mit anderen Spezialisierungen ist. Stattdessen habe ich einfach meiner Fantasie ein wenig freien Lauf gelassen und etwas mit Schattenpriestern und Dämonenjägern experimentiert – mal mit guten, mal mit schlechten Ergebnissen.
Vor allem beim Schattenpriester gab es gleich mehrere Möglichkeiten, meinen Charakter nach meinen Wünschen anzupassen und gänzlich unterschiedliche Spielstile zu erlauben.
Die erste Variante ist recht simpel: Ich habe versucht den aktuellen Schattenpriester nachzubauen, wie er in Shadowlands und Battle for Azeroth gespielt wurde. Das gelang überraschend simpel und kommt sogar mit einigen Bonus-Effekten daher, wie etwas mehr Wahnsinn-Generierung.
Bei der zweiten Spielweise habe ich einfach mal versucht, alles mitzunehmen, das irgendwie nach „Alte Götter“ klingt. Ich habe „Götze von Y’Shaarj“, „Götze von Yogg-Saron“ und „Götze von C’Thun“ mitgenommen. Die Kurzfassung davon ist, dass ich fast durchgehend irgendwelche Schattenkreaturen heraufbeschwöre. Nicht nur den Schattengeist, sondern auch mehrere Tentakel, die Feinde mit Effekten belegen und sogar ein „Ding aus dem Jenseits“, das für mich kämpft. Ich fühlte mich damit eher wie ein Kultist der Alten Götter, der permanent irgendwelche Kreaturen aus der Leere herbeiruft.
Bei meiner dritten Variante versuchte ich einen alten Spielstil wiederzubeleben, den es seit den Zeiten von Wrath of the Lich King und Cataclysm nicht mehr gab – nämlich den Gedankenstachel. Das ist ein recht schneller Zauber mit solidem Schaden, der aber alle DOTs auf dem Ziel entfernt. Leider funktioniert die Spielweise nicht mehr so wie damals und man muss den Schattenpriester zwingend mit DOTs spielen. Gedankenstachel kann man hingegen so verbessern, dass er oft die DOTs nicht aufzehrt.
Das waren nur drei Variationen, die zumindest auf den ersten Blick Sinn ergaben und durchaus unterschiedliche Spielstile boten. Zwar gab es einige Überschneidungen, doch fühlte es sich deutlich anders an – je nachdem, ob man gerade Schattenwesen aus der Leere beschwört oder eben den Schaden der DOTs zu maximieren versucht.
Diese drei Varianten waren nur Abwandlungen des Schatten-Talentbaumes – den allgemeinen Priester-Baum hatte ich bis dahin noch gar nicht berührt. Denn auch hier gibt es viele unterschiedliche Möglichkeiten. So kann ich selbst als Schattenpriester eine ganze Menge von Heilfähigkeiten oder auch die Heilige Nova erlernen. Damit ist man zwar bei aller Liebe kein vollumfänglicher Heiler, kann aber zumindest kurz aushelfen, wenn der tatsächliche Heiler gerade überfordert ist oder auf eine Wiederbelebung wartet.
Unsinnige Verbindungen sorgen für (leichten) Frust
Der Nachteil ist, dass die schiere Fülle an Talenten gelegentlich dazu führt, dass man Dinge mitwählen muss, an denen man eigentlich gar kein Interesse hat. Oft sind das Fähigkeiten, die aufeinander aufbauen und dann ergibt das Sinn – ab und an aber eben auch nicht.
Warum muss ich als Priester erst „Körper und Geist“ skillen, um meine Laufgeschwindigkeit bei der Benutzung von „Machtwort: Schild“ zu erhöhen, wenn ich an „Untote fesseln“ rankommen will? Das ist immerhin ein extrem wichtiger Kontroll-Effekt, den ich auf keinen Fall missen möchte. Doch die einzige Möglichkeit dranzukommen, besteht über eine Verbindung zu „Körper und Geist“ – etwas, das absolut gar nichts mit dem Fesseln von Untoten zu tun hat.
Solche sonderbaren Verbindungen gibt es nicht oft, aber doch häufig genug, um sie kritisieren zu können.
Ich verstehe es absolut, dass ich für „Krankheit läutern“ erst „Magiebannung“ erlernen muss – das hat eine klare Verbindung, beides hat mit dem Entfernen von Effekten zu tun.
Doch das ist nur ein kleiner Kritikpunkt, der wohl auch vor allem aus der Not geboren wurde, irgendwie möglichst große Talentbäume zu bauen. Da müssen vermutlich einige Verbindungen schlicht bestehen, die auf den ersten Blick nicht so viel Sinn ergeben.
Kritik gibt es auch daran, dass in den Klassen-Bäumen manchmal absolute „Must Have“-Talente sind, die man etwa für den Schattenpriester benötigt. Dass in meinem Priester-Talentbaum ein Talent existiert, das die Abklingzeit meines Gedankenschlags drastisch reduziert, schränkt mich unnötig ein – und das hätte meiner Meinung nach auch viel besser in den Schatten-Baum gepasst.
Skepsis die bleibt: Was die Community daraus macht
Mein erstes Fazit von dem Talent-System ist ziemlich positiv. Es gibt jeder Spezialisierung viele Freiheiten, sodass zwei Charaktere der gleichen Spezialisierung sich gänzlich unterschiedlich spielen können. Gleichzeitig hat man allerdings so viele Talentpunkte, dass man genug des ganzen Baumes wählen kann, um nicht den Eindruck zu haben, man könnte die interessantesten Effekte nicht miteinander kombinieren.
Ich werde wohl viel Zeit in das System stecken, um mir ein paar ganz eigene Builds zu bauen – einfach um zu schauen, wie viel Spaß man damit haben kann.
Das einzige, was mir schon jetzt richtige Sorgen bereitet, ist der Drang eines Teils der Community, den besten 0,1 % der Spieler nachzueifern und den Spaß „totzurechnen“. Denn meine große Befürchtung, dass sich am Ende pro Klasse doch wieder nur ein oder zwei optimale Talent-Verteilungen ergeben werden, zeichnet sich leider schon jetzt ab. Und das ist ziemlich schade, denn das neue Talent-System erlaubt eine Menge cooler Hybrid-Skillungen.
Doch im Verlauf von rund 20 Jahren hat sich immer mehr der Gedanke durchgesetzt, sämtliche Dinge im Spiel zu „simmen“ und auf die letzte Nachkommastelle das Optimum an Leistung herauszusholen – egal ob man als Spielerin oder Spieler überhaupt in der Lage ist, so optimiert spielen zu können.
Meine große Befürchtung ist, dass das neue Talentsystem zwar in der Theorie viel Abwechslung bietet und eine Fülle von unterschiedlichen Spielstilen jeder Klasse ermöglicht, in der Praxis aber immer nur eine oder maximal zwei davon als aktuelle „Meta“ akzeptiert werden.
Wenn die Community nicht lernt, die mögliche Vielfalt des Talent-Systems auch als solche zu akzeptieren, dann hätte man das Talent-System kaum ändern brauchen. Da hilft es natürlich ungemein, wenn man mit einer toleranten Gruppe spielt, die nicht jeden Prozentpunkt als notwendig ansieht und auch den Freiraum lässt, einfach mal neue Dinge auszuprobieren – egal ob sie „Meta“ sind, sondern einfach nur, weil sie Spaß machen.
Wenn das gelingt, dann ist das „neue, alte“ Talent-System ein großer Schritt in die richtige Richtung. Sonst ist es einfach eine unnötige Verkomplizierung.
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