Das letzte Fußballspiel von EA unter dem Titel FIFA ist erschienen. Gelingt ihnen die Content-Offensive oder setzt der Entwickler abermals auf gemächliche Evolution? Unser Gesamteindruck von FIFA 23:


Nach 30 Jahren hat die EA-SPORTS-Fußball-Reihe mit FIFA 23 ihr Ende erreicht. Die Trennung zum Weltverband ist beschlossen – EA SPORTS FC kommt. Das letzte FIFA sollte nicht weniger als „das beste aller Zeiten“ werden, so der Entwickler. Versprochen Hatte EA „mehr Funktionen, Spielmodi, Klubs, Ligen“ und einiges mehr.


Zumindest letzteres ließ sich nach der Ankündigungsflut in den Wochen vor Veröffentlichung kaum abstreiten. EA hat an Inhalt, Gameplay-Elementen und Funktionen ordentlich draufgelegt, ob die jedoch in allen Ecken des FIFA-Universums sinnvoll oder gar spieleroptimiert sind, bleibt fragwürdig.

Von der virtuellen Sportschau zum Stadion-Feeling

Ordentlich Stimmung an der Nelson Road - dem Stadion des glorreichen AFC Richmond. Die Präsentation in FIFA 23 legt ordentlich zu.


Ordentlich Stimmung an der Nelson Road – dem Stadion des glorreichen AFC Richmond. Die Präsentation in FIFA 23 legt ordentlich zu. 
kicker eSport


In einem Punkt ist FIFA 23 jedoch tatsächlich das beste aller Zeiten. Wie das Gameplay, das einige sinnvolle Anpassungen erhalten hat, profitiert auch die Inszenierung massiv von der HyperMotion-2-Technologie. Wenngleich noch nicht gänzlich alles rund läuft, Animationen und Grafik wirken knackig wie nie. Die Technik-Evolution ist über alle Modi hinweg geglückt. Der neue flott geschnittene Einstieg heizt bei Top-Partien die Lust auf Fußball an. Die Atmosphäre in und abseits der Stadien wird für Gelegenheits- und Offline-Spielende ansprechend dargeboten.


Wenn Tornetze beim Erfolg flattern, der Sound des Einnetzen über den PS5-Controller in den Ohren klingelt oder die Grasnarbe per Stollen umgepflügt wird, schlägt das Fußballherz höher. Kleine Anpassungen, wie es scheint, jedoch massiv in ihrer Wirkung. Auch die virtuellen Profis rennen geschmeidiger und griffiger über den Platz, als noch zuvor, ohne ihre bekannte arcadige Grundanlage zu verlieren. Durch Neuerungen im Dribbling wird das Spiel im ersten Eindruck variantenreicher.


Jedoch gilt all das nur für PlayStation 5, Xbox Series X|S und PC. Wer zu FIFA 23 auf PlayStation 4 und Xbox One greift oder gar auf die Idee kommt, das Fußballspiel für die Switch zu kaufen, wird massive Abstriche in Präsentation und Gameplay hinnehmen müssen. Eine Kaufempfehlung für diese Teile kann daher nicht ausgesprochen werden. 

Frauen in beliebten Modi nicht relevant

Warten auf ihren Einsatz - die Spielerinnen der USA.


Warten auf ihren Einsatz – die Spielerinnen der USA.
kicker eSport


Eine der größten Neuerungen in FIFA 23 ist die ausgeweitete Integration des Fußballs der Frauen. Durch die Daten aus einem eigens ausgetragenen realen Match konnten über Motion-Capture-Anzüge spezifische Bewegungen dieser eingefangen werden.


Dadurch wird das Spiel in seinen Animationen tatsächlich authentischer. Leider schwanken die Teams stark in der Anlage der Schnelligkeit. Brasilien oder die USA agieren, als hätten sie übermäßig viel koffeinhaltige Getränke in der Kabine konsumiert. Das hebt sich teils stark vom Spiel der Männer ab. Auch die Schwierigkeitsstufen scheinen im Fußball der Frauen durch die Ausrichtung anders und vor allem schwankend gelagert. Hier fehlt zur Zeit noch die Balance, die das Spielen eines Turniers zum Frustfaktor mutieren lässt.


In FIFA 23 kann außer in Freundschaftsspielen und Turnieren jetzt auch eine Saison der englischen oder französischen Liga der Frauen gespielt werden. Das scheint auf den ersten Blick erfreulich, im Vergleich zum Inhalt der Männer wirken Frauen-Mannschaften aus zwei Ligen eher wie ein Alibi. Weder eine Karriere kann mit ihnen gespielt werden, noch kennt der deutsche Kommentar die Namen der meisten Akteurinnen.

Ein amerikanischer Football-Coach macht Karriere

Kommt in Dortmund nur wenig zum Einsatz, strahlt jedoch nach der Vertragsunterzeichnung beim AFC Richmond - Youssoufa Moukoko.


Kommt in Dortmund nur wenig zum Einsatz, strahlt jedoch nach der Vertragsunterzeichnung beim AFC Richmond – Youssoufa Moukoko.
kicker eSport


Auch in den Klassikern Freundschaftsspiele oder dem Karrieremodus gibt es nichts Bahnbrechendes. Das lockere Spiel zwischen Freunden scheint generell aus der Mode, die Karriere bietet jetzt einige reale Trainer, ein entschlacktes Menü, spielbare Partie-Highlights und bewertete Transfers. Nichts, was die Spielerfahrung weitgehend anders oder neu gestaltet als noch im Vorgänger. „Never change a running System“ scheint das Motto bei EA SPORTS.


Und für die drei Leute, die die Spielerkarriere spielen, gibt es jetzt Persönlichkeiten und Aktivitäten abseits des Feldes. Einen Storymodus, der beispielsweise die Spielerkarriere in NBA 2K23 seit langem trägt, gibt es in FIFA seit des kurzen Auftritts des fiktiven Stars „Hunter“ in „The Journey“ nicht mehr. Schade, denn Geschichten sind es, die Spielerkarrieren tragen, nicht das frisch gekaufte Boot oder die Geburtstagsparty.


Frischen Schwung bringt lediglich der AFC Richmond in die genannten Modi. Der fiktive Klub der Serie „Ted Lasso“, die ein Dauerabonnement auf Emmi-Auszeichnungen zu haben scheint, lässt sich sogar anstelle eines anderen Vereins in jegliche Ligen der Welt einschleusen. Deren Spieler sind zudem auf dem Transfermarkt erhältlich. Manch einer von ihnen sogar mit einem der höchsten Potenziale im Spiel. Wenn Jamie Tartt, Roy Kent und Dani Rojas übers Feld laufen und Lasso am Ende des Matches seinen Schnurrbart zum Interview in die Kamera hält, klopft das Fanherz in hohen Frequenzen. 

Sorgt in FUT bei den Traummanschaften des Landes für Erfolg - Heung-min Son.


Sorgt in FUT bei den Traummannschaften des Landes für Erfolg – Heung-Min Son.
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FUT lockt Offliner


Die größten Änderungen seit Jahren gab es, wenig überraschend, in EA SPORTS Goldesel FIFA Ultimate Team. Ein neues Chemie-System, Crossplay und ein neuer Modus: FUT-Moments bietet kurze Szenarien für Offline-Spielende. So lassen sich vor allem Spielzüge und Funktionen erlernen oder die Karriere von Kylian Mbappé nachspielen.


Der Modus soll laut EA für Menschen mit knapp bemessener Zeit entworfen worden sein. Die kurzen Spielszenen wirken jedoch nach einigen gemachten Aufgaben schnell repetitiv und ermüdend. Zudem gibt es im Star-Shop Items und Spieler, die nicht verkauft werden können. So scheint der Modus als Zugpferd für FUT, um Offline-Spielenden Packs schmackhaft zu gestalten. Vor allem, weil der Weg nach dem Pack öffnen direkt in den hauseigenen Shop für Mikrotransaktionen führt. 

Musterschüler - sein virtuelles Abbild kann in FIFA 23 allein trainiert werden. Die Aufgaben helfen beim Verstehen und Erlernen des FIFA-Gameplays.


Musterschüler – sein virtuelles Abbild kann in FIFA 23 allein trainiert werden. Die Aufgaben helfen beim Verstehen und Erlernen des FIFA-Gameplays.
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VOLTA und Pro-Clubs mit Stagnation


Einen weiteren Versuch, Spielende für Modi abseits von FUT und Karriere zu begeistern, gibt es in Pro Clubs. Dessen Progression des eigenen virtuellen Abbildes wurde mit der in VOLTA zusammengelegt. Sinnvoll, da so zumindest nicht zwei Kicker unabhängig von einander erstellt werden müssen, um am Gegenüber teilzunehmen. 


Jedoch – soll der Pro-Clubs-Avatar mit neuen Klamotten und Accessoires ausgestattet werden – führt der Weg abermals in den VOLTA-Shop und somit nahe an die angebotenen Coins für Mikrotransaktionen. Abseits dessen gibt es auch hier kaum Neues: Crossplay wird in beiden Modi, die massiv davon profitieren würden, derzeit nicht unterstützt. In Pro Clubs kann derweil allein an seinem Pro gewerkelt werden. Zudem halten jetzt auch dort, wie in VOLTA bereits seit Jahren Standard, Tattoos zur Individualisierung Einzug. Das VOLTA Gameplay ist zur Abwechslung vom FIFA-Alltag geeignet, für mehr fehlt dem Modus leider jegliche Tiefe. 

Hier stockt der Ball


Zum Start von FIFA 23 traten einige, teilweise auch bekannte Probleme auf. Server fielen schon zum Start der Web-App aus – selbes Problem war auch in der Early-Access-Phase zu beobachten. Fehler in der Animation reihen sich an die zum Teil wirr agierende KI, die nur zu gerne zwischendurch einfach mal ins Aus rennt.


Auch Komplettabstürze des Spiels, nicht ladende Menüs in VOLTA oder Unterbrechungen zum Server während laufender Partien in FUT mindern derzeit den Spielspaß. Letzteres ist besonders ärgerlich, da es nicht nur zur Niederlage führt, sondern ebenfalls keine Coins ausgeschüttet werden und zusätzlich trotzdem ein Spielervertrag abgezogen wird.

Fazit

KICKER ESPORT TESTET FIFA


FIFA 23 hat mit HyperMotion 2 tatsächlich an Substanz gewonnen. Vor allem Grafik, Präsentation und eine neue Varianz im Gameplay lassen aufhorchen. Das anfängliche Reinfuchsen ins Spielsystem macht Spaß, sich mit dem neuen Dribbling zu arrangieren und Möglichkeiten zu erforschen wirkt motivierend. Die jährliche Evolution ist vor allem hier stärker als zuvor ausgefallen. 


Jedoch wird das positive Bild von minimalen Änderungen innerhalb der Modi getrübt, die als massive Innovationen verkauft wurden. Die erweiterte Integration von Frauen-Teams ist sinnvoll, jedoch fehlt es weiterhin an Umfang der Lizenzen und Aufgaben. Dadurch ist zu befürchten, dass sie auch dieses Jahr kaum Aufmerksamkeit der Spielenden erhalten werden. 


Dass tatsächlich ein einziger fiktiver Klub als erfrischendste Neuigkeit in Sachen Inhalt herhalten muss, ist etwas mager. Immerhin, mit den Weltmeisterschaften der Männer und der Frauen, ist weiterer Content geplant. 


Vermutlich ist FIFA 23 damit noch immer das FIFA mit dem inhaltsreichsten Angebot. Doch so ganz kann dieser Teil das Gefühl nicht vertreiben, dass EA mit einer wirklichen Content-Offensive auf das Erscheinen ihres EA SPORTS FC wartet. Ob FIFA 23 das tatsächlich „beste aller Zeiten“ ist, entscheiden für EA letztendlich die Verkaufszahlen – und die geben ihnen eigentlich jedes Jahr recht.



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