Schöne neue Fußball-Welt
Beraterin von Haaland sieht Superstar bei Fortnite
02.02.2023, 14:05 Uhr
Das gerade abgelaufene Transferfenster war ein Blick in die Zukunft des Fußballs. Die englische Premier League hat die anderen Ligen weit hinter sich gelassen. Weltweit fiebern die Fans am Deadline Day mit. Auf diese weitgehend virtuelle Welt baut auch die neue Beraterin von Erling Haaland.
Da kann selbst Superklub-Besitzer Todd Boehly nicht mehr mithalten. Der Mann vom FC Chelsea, dem Zehnten der englischen Premier League, hatte in der gerade abgelaufenen Transferperiode mit seinen Investitionen den Fußball auf ein neues Level gehoben. Mit dem 121-Millionen-Euro schweren Wechsel von Weltmeister Enzo Fernández von Benfica Lissabon an die Stamford Bridge belaufen sich die Ausgaben allein im Januar 2023 auf 329,5 Millionen Euro, mehr als alle Klubs der Top-Ligen in Deutschland, Spanien, Frankreich und Italien gemeinsam ausgegeben haben. Dazu kommen weitere 282 Millionen im Sommer 2022. Macht in der Summe über 600 Millionen Euro oder eben nicht einmal einen ganzen Erling Haaland.
Denn dessen Marktwert, rechnete nun Rafaela Pimenta, die Beraterin des ehemaligen Dortmunders in der spanischen „AS“ vor, liegt bei mindestens einer Milliarde Euro, also 1.000.000.000 Euro. Schlechte Nachrichten also für Todd Boehly, der aber wohl ohnehin nicht in der Verlosung sein wird, sollte Haaland irgendwann einmal seine Zelte bei Manchester City abbrechen und sich auf die Suche nach neuen Abenteuern begeben. „Ich würde Haalands Marktwert bei 1000 Millionen Euro ansetzen. Vielleicht wird das nie jemand zahlen, aber er bringt das mit, wenn er bei einem Klub unterschreibt“, sagte Pimenta, die nach dem Tod von Mino Raiola im vergangenen Jahr die Geschäfte des umtriebigen Beraters weiterführt. „Er bringt Fans, Tore, Ergebnisse, Professionalität, digitalen Content, Popularität und Sponsoren mit. All das addiert, ergibt seinen Wert.“
Doch Pimenta weiß auch, dass kein Klub der Welt in naher Zukunft diesen Preis aufrufen wird. „Die Vereine machen die Preise für die Spieler und natürlich wird niemand 700 Millionen Euro für einen Spieler zahlen“, sagte sie, ohne genauer zu erklären, woher die 700 Millionen Euro plötzlich stammen. „Doch noch einmal: Der Wert, den Haaland in einen Klub einbringt, ist immens, mindestens 1000 Millionen Euro.“ Eine Summe, die angesichts des nun seit schon einigen Jahren stehenden Rekordtransfers von Neymar irrwitzig erscheint. Der Brasilianer wechselte im Sommer 2017 für eine Ablöse von 222 Millionen Euro von Barcelona zu Paris Saint-Germain.
Spanische Liga beklagt Finanzdoping
Kein Spieler kam im Anschluss dieser Summe nahe. Mit Kylian Mbappé, der für 180 Millionen Euro im folgenden Jahr von Monaco in die französische Hauptstadt wechselte und dem Ex-Dortmunder Ousmane Dembélé, der mit seiner Transfersumme von insgesamt 140 Millionen Euro Barça an den Rand des Ruins führte, folgen zwei weitere Spieler außerhalb der englischen Premier League auf den Plätzen.
Nach den Erschütterungen durch die Coronapandemie fokussiert sich der Fußball momentan stark auf die Finanzkraft der englischen Teams. Die zum Großteil von privaten Investoren oder sehr staatsnahen Fonds geführten Klubs schmeißen mit dem Geld derart um sich, dass die anderen Ligen mit einer Mischung aus Empörung und Resignation reagieren. Besonders pikiert war, wie nicht anders zu erwarten, die Reaktion aus Spanien. Dort kämpfen sie seit Jahren mit dem durch die Finanzmacht der englischen Premier League ausgelösten Bedeutungsverlust der eigenen Liga.
„Worum geht es? Was ist das Problem? Im Grunde genommen werden die Vereine gedopt. Ihnen wird [durch die Investoren] Geld zugeführt, dass sie nicht selbst erwirtschaftet haben“, sagte Javier Gomez, der Generaldirektor der spanischen Liga und verwies auf die eigenen scharfen Regulierungen. Diese sollen verhindern, dass Klubs nicht mehr investieren als sie einnehmen können. Beschränkungen, die es in der Premier League in dieser Form nicht gibt.
England ist das Land, in dem für Fußball-Profis Milch und Honig fließt, und das Ziel eines jeden Spielers, erklärte dann Pimenta. „Als ich angefangen habe, war es doch so: Wenn ich einem Spieler einen Wechsel in die Premier League ermöglichen wollte, fragte der mich, was er denn falsch gemacht habe. Er wolle doch nach Italien oder Spanien“, erzählte die ehemalige Raiola-Vertraute: „Heute sagen die Spieler nur noch, dass sie in die Premier League wollen. Der Verein ist ihnen dabei egal.“
Haaland-Beraterin malt Bild einer entfesselten Zukunft
Weil aber nicht alle Spieler in der Premier League landen können und schon gar nicht alle Welt immer nach England reisen kann, hat Pimenta eine herrliche Idee. Die Fans, nicht die Spieler, sollen das Spiel trotzdem fühlen will, hofft Pimenta auf den nächsten technologischen Entwicklungsschritt im Fußball, sie hofft auf das Metaverse, die 3D-Welt im eigenen Smart Home. Dabei verweist sie auf ein Konzert des Rappers Travis Scott am Anfang der Pandemie. Scott trat damals vor 12,3 Millionen Nutzern im Videospiel Fortnite auf. Ein PR-Schachzug zum Beginn der Lockdowns im April 2020 und ein Ausblick auf das, was auch dem Fußballsport zu noch mehr Popularität verhelfen soll. „Kein Stadion der Welt kann diese 12 Millionen aufnehmen“, sagte Pimenta. „Ich hoffe, dass die Klubs diese Erlebnisse monetarisieren können. Damit ein Kolumbianer das Bernabéu genießen kann, ohne sein Haus zu verlassen. Für mich ist das fantastisch. Das ist die Zukunft. Es ist erwiesen, dass die physischen Emotionen von Herzschlag, Blutfluss und Körperwärme, die das virtuelle Erlebnis auslöst, die gleichen sind wie die, die das reale Erlebnis auslösen.“
Und wenn es dann soweit ist, die Technologie sich weitergedreht hat, die Fußballer immer mehr in einer Realitätssimulation aufgehen und die Zuschauer sich in ihrem Wohnzimmer in die Stadien einloggen, dann wird der Haaland dieser Zeit vielleicht wirklich 1.000.000.000 Euro kosten. Und der Todd Boehly dieser Zeit wird die Unterhaltungsmaschine Fußball weiter mit seinem Geld bewerfen. Denn etwas anderes macht er ohnehin jetzt auch nicht. Boehly und sein Chelsea bedienen schon längst die von Pimenta erwähnten Emotionen. Jeder Transfer stillt die Gier nach Emotionen, löst etwas in den Anhängern des Klubs aus, das weit über das eigentliche Ergebnis hinausgeht. Ein Transfer und dessen mediale Inszenierung kann von jedem Ort der Welt verfolgt werden. Noch aber lässt sich das von einem Stadionbesuch nicht sagen. Der ist an einen Ort gebunden.
Bis diese Unmittelbarkeit der Transferwelt also auch im Stadion Einzug hält, werden die Spanier über Doping schimpfen und die Bundesliga sich über die Frage nach der Lockerung der 50+1-Regelung streiten. In der von Pimenta skizzierten Welt wäre all das komplett egal. Die Einnahmen bei der richtigen technischen Infrastruktur grenzenlos. Zumindest für die Klubs, die Menschen auf der gesamten Welt erreichen und mit ihren Emotionen zum Kauf ihres Produkts überzeugen könne. Brave new world.