Die Tränen kommen, als alles vorbei ist. Kuro Salehi Takhasomi, kurzgeschorene Haare, Trainingshose und Hoody, wischt sich durch die Augen. Die andere Hand umklammert den Siegerpokal. „Let’s go, Liquid“, skandieren 17 000 Zuschauer. Ein Teamkollege drückt Takhasomi fest an sich. „Kuroky, Kuroky“, brüllt die Menge.
KuroKy, so nennt sich der gebürtige Berliner Takhasomi im Computerspiel Dota 2. Am Wochenende hat er mit seinem internationalen Team Liquid die inoffiziellen Dota-2-Weltmeisterschaft „The International 2017“ in Seattle gewonnen. Das Preisgeld für ihn und seine Mitspieler: 10 862 682 US-Dollar.
Takhasomi ist ein Dota-2-Veteran, der seit Jahren professionellen E-Sport betreibt. In dem Spiel versuchen jeweils fünf Spieler, die Festung des gegnerischen Teams zu zerstören (wie genau Dota 2 funktioniert, können Sie hier nachlesen). Als Kind konnte er wegen einer angeborenen Behinderung seine Beine nicht richtig benutzen. Deshalb verbrachte er viel Zeit mit Videospielen. Auch im Vorgänger „Defense of the Ancients“ (kurz: DotA) gehörte KuroKy zu den besten weltweit. Mittlerweile erhält Takhasomi ein festes Gehalt dafür, dass er für Team Liquid Dota spielt. Seit 2011 ist er mit unterschiedlichen Teams bei The International angetreten, im siebten Anlauf hat es nun geklappt.
Er wirkt so, als würde er alles reflektieren
Die von Fans betriebene Seite Esportsearnings.com beziffert Takhasomis gesammeltes Preisgeld auf mehr als 3,3 Millionen Dollar, Abzüge durch Steuern sind allerdings nicht miteinberechnet. Aber klar ist eines: Gemessen am Preisgeld ist Takhasomi der erfolgreichste Gamer der Welt.
Der 24-Jährige ist der Kapitän von Team Liquid. Er bestimmt die Strategie und entscheidet vor Beginn jeden Duells, welcher Spieler mit welchem der 113 zur Verfügung stehenden Helden antreten wird. Dazu kommt eine fast noch wichtigere Aufgabe: Er muss sein Team emotional zusammenhalten. Takhasomi ist der Ruhepol der fünf jungen Männer, die aus Bulgarien, Finnland, Jordanien, dem Libanon und Deutschland stammen. Während andere Spieler auch mal rumbrüllen, um Druck abzubauen, strahlt er Besonnenheit aus. Auch in Interviews gibt sich der iranischstämmige Berliner eher leise. Er ist keiner, der mit seinen Erfolgen prahlt. Es wirkt, als denke er über jedes Wort nach, bevor er den Mund aufmacht.
Auch während des Spiels – wenn höchstens Sekundenbruchteile bleiben, um das Geschehen auf dem Bildschirm zu verarbeiten und die richtigen Konsequenzen zu ziehen – weiß Takhasomi genau, was zu tun ist. Vor allem seiner Leistung ist es zu verdanken, dass Team Liquid die WM gewonnen hat. Ab dem Viertelfinale mussten sie sich durch das untere Bracket des Doppel-K.o.-Systems kämpfen, um überhaupt im Grand Final antreten zu dürfen. Jede Niederlage hätte das Aus bedeutet. Unter den Top Vier finden sich außer Liquid sonst nur chinesische Teams.
KuroKy verspricht: Wir kommen wieder
Das Finale am Samstagabend ist das sechste Spiel für Team Liquid, sie führen zwei zu null nach Sätzen. Der dritte Satz könnte den ersten Zu-null-Sieg in einem Dota-2-Finale bringen. Die Spieler sind psychisch und physisch ausgelaugt, aber konzentrieren sich ein letztes Mal. Zu fünft überrennt Team Liquid nach 45 Minuten die feindliche Basis. Alle springen auf, fallen sich in die Arme, während um sie herum Feuerwerk explodiert. Nur Kuro Salehi Takhasomi bleibt ruhig. Fast schon zögerlich schreitet er auf das Podest zu, auf dem der Pokal drapiert ist – seine vier Teamkollegen hinter sich. Dann nimmt er die Trophäe, reißt sie in die Höhe, und 17 000 begeisterte Fans jubeln.
Mit seinen 24 Jahren scheint Takhasomi eigentlich noch voll leistungsfähig. Dennoch denken einige gleichaltrige Pro-Gamer bereits über ihr Karriereende nach. „Wenn du jung bist, kannst du auch mal zwölf Stunden am Stück durchspielen“, sagte Takhasomi in einem Youtube-Interview vor einem Jahr. „Jetzt braucht man Pausen, man braucht Essen, möchte sich entspannen.“ Fans von KuroKy und Team Liquid müssen sich aber noch keine Sorgen machen: „Wir kommen nächstes Jahr wieder“, verspricht er noch auf der Bühne in Seattle.